Miss Mut
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Die Entscheidung einer Frau …
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Das Ehepaar Mut war sehr glücklich miteinander — noch immer. Fast 25 Jahre waren sie mittlerweile verheiratet. Für Jürgen war Elisabeth die Anmut in Person — so gutmütig und voller Sanftmut. Er saß im Rollstuhl und kümmerte sich mit ganz viel Liebe und Langmut um den gemeinsamen Sohn Matthias und um den Haushalt, während sie als Architektin tätig war und großmütig mit ihren Angestellten umging. Die vielen Kunden meinten einmütig, dass man auf sie Häuser bauen konnte, weil sie mit Gleichmut für unzählig neue Eigenheime sorgte. Ja, und natürlich lebten Jürgen und Elisabeth auch in aller Demut seit vielen Jahren in einem wunderschönen Haus am Rande der Stadt.
Als Elisabeth 48 Jahre alt war, wurde sie sehr krank. Unmut machte sich in ihrem Herzen breit. Denn unmittelbar nach der unheilbaren Diagnose stand fest, dass sie nicht mehr arbeiten konnte. Aber das war noch nicht alles. Auf Dauer konnte das Ehepaar Mut die Raten für ihr Eigenheim nicht mehr abzahlen. Die Bank gab ihnen keinen Kredit mehr. Jürgen und Elisabeth verloren demnach fast alles, was sie sich im Laufe der vielen gemeinsamen Jahre aufgebaut hatten und wurden in mehrerer Hinsicht wehmütig und auch kleinmütig.
Elisabeth ließ schwermütig eine Wohnung in der Innenstadt so umbauen, dass Jürgen und sie dort künftig leben konnten. Und als diese fertig war, zog das Ehepaar — mit viel Unmut im Gepäck — um.
Der Sohn Matthias half natürlich mit recht viel Gleichmut beim Einrichten des neuen Heims mit. Und während er die Möbel aufstellte oder die Kartons auspackte, redete er Elisabeth ganz bewusst ständig mit „Miss Mut“ an. „Steht der Schrank so gut, ‚Miss Mut‘? „Wo soll ich das Geschirr einräumen, ‚Miss Mut‘? „Hängt das Bild gerade, ‚Miss Mut‘?“
Irgendwann bekam Elisabeth Wut. „Auch wenn ich jetzt nicht mehr alles allein machen kann — ich bin immer noch deine Mutter! Vergiss das bitte nicht!“, fauchte sie ihren Sohn an.
„Und du vergiss bitte nicht, dass du nicht umsonst ‚Frau Mut‘ bist!“, gab Matthias lächelnd zurück. „Dass du Trauer empfindest, weil viele deiner Lebensträume geplatzt sind, kann ich nachvollziehen. Und das ist auch normal. Aber traue dich, in eine neue Richtung zu denken und dich anders einzurichten — dennoch!“
Elisabeth horchte auf. Sie hinterfragte sich: „Bin ich wirklich als ‚Miss Mut’ in den letzten Wochen voller Missmut durch das Leben gegangen? Das will ich nicht. Mein Sohn hat recht: Auch wenn ich nicht mehr die Freiheit habe, meine Umstände zu ändern — so bleibt mir doch die Freiheit, meine Einstellung zu den Umständen zu ändern! Und das tue ich … ab heute! Mut-will-ich!“
Nach dieser Trauerphase legte Elisabeth nun ihren Wankelmut ab. Sie wollte wagemutig werden. Also suchte sie die Möglichkeiten, die ihr geschenkt wurden, um noch einmal neu anzufangen und etwas anderes aufzubauen als Häuser. Sie trotzte den vielen Herausforderungen und der inneren Armut, die sie eine Zeit lang empfunden hatte. Und genau das schenkte „Frau Mut“ neuen Lebensmut!