Mit Gutem gefüllt

Mit Gutem gefüllt

Eine Geschichte über Dominosteine und den Wert des Daseins

Leckere Dominosteine - für mit Gutem gefüllt - Geschichten.

Susanne war mit ihrem sechsjährigen Sohn einkaufen. Auf dem Weg nach Hause war der kleine Tim richtig fröhlich. Er freute sich schon darauf, einen von den vielen Dominosteinen zu verputzen, die er sich ausgesucht hatte. Vergnügt hüpfte er seiner Mama voraus, wobei er den Beutel mit den Lebensmitteln immer hin- und herschwang, der mit so viel Gutem gefüllt war. 

„Sei vorsichtig! “, wurde er ermahnt. „Du trägst Sachen, die kaputtgehen können!“ 

Doch Tim hörte nicht. Und so kam es, wie es kommen musste: Die Packung mit den Dominosteinen war daheim total lädiert. Tränen kullerten über sein Gesicht. „Die will ich nicht mehr!“, betonte er. 

Nachdem Susanne alle Lebensmittel verstaut hatte, nahm sie Tims Mitbringsel. Sie bückte sich zu ihm herunter, öffnete vorsichtig die Packung und biss in einen Dominostein hinein, an dem jetzt ein Stück von einem Artgenossen klebte. „Mmh…“, versuchte sie, Tim zu locken, um auch zuzugreifen. Dabei hielt sie ihm die Schachtel vor die Nase. 

Tim schüttelte allerdings vehement den Kopf. „Kannst alle allein essen oder wegschmeißen…“, machte er seiner Mama trotzig klar. 

Susanne sah den Sprössling nachdenklich an. Und dann fragte sie ihn: „Was ist mit deinem Freund Karl? Würdest du ihn auch links liegen lassen, wenn er eine Brille tragen müsste?  Liebst du deine Tante Marianne nicht auch, obwohl sie in einem Rollstuhl sitzt? Und … was ist mit deinem Cousin Luis? Gehört er auch in den Müll, weil er eine Zahnspange trägt?“ 

„Was hat das damit denn zu tun?“, meinte Tim genervt. „Können wir noch einmal in den Supermarkt gehen…?“ 

Geduldig suchte Susanne jetzt einen anderen Dominostein heraus, an dem eine Ecke fehlte. Sie bot ihn ihrem Kind an. Und nachdem es nörgelnd abgelehnt hatte, nahm sie diesen auch zu sich. „Mmh…“, schmatzte sie bewusst wieder, während sie am Kauen war. 

„Die sind nicht mehr schön! Holen wir neue?“ 

Wieder redete Susanne auf ihren Sohn ein. „Lehnst du Onkel Dieter denn ab, nur weil er bereits seine Haare verloren hat? Magst du Opa Ernst nicht mehr, weil er schwerhörig ist? Und – was ist mit dir, mein Schatz: Momentan fehlen dir ein paar Zähne, aber für mich bist du trotzdem toll! Es kommt doch gar nicht so sehr auf das Äußerliche an, sondern auf den Inhalt!“ Sie hielt kurz inne und sprach dann weiter: „Die Dominosteine hier sehen vielleicht ziemlich mitgenommen aus, aber sie sind – nach wie vor – mit Gutem gefüllt – und lecker…“ 

Allmählich verstand Tim, was seine Mutter ihm sagen wollte. Zögernd schaute er in die Schachtel. Dann nahm er vorsichtig einen zerdrückten Dominostein. Er guckte ihn noch ein bisschen misstrauisch an, aber dann ließ sich den Leckerbissen genüsslich munden, bis sein Magen mit Gutem gefüllt war.